Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,
am 23.6.2011 wurde in Norwegen das Steilneset-Memorial in Vardø eingeweiht. 91 Menschen fanden dort vor 350 Jahren den Tod durch Verbrennung, weil sie als Hexen verurteilt wurden.
Das begehbare Denkmal soll dem Vernehmen nach beeindruckend sein. Aus der Ferne beeindruckt zumindest der Preis: über 10 Millionen Euro soll alleine der Bau und das Honorar der Stararchitekten gekostet haben, eine beachtliche Investition in den lokalen Tourismus.
Als ich 2011 im englischen Lancaster einen Vortrag über ghanaische Hexenjagden hielt, fanden dort gerade die Jubiläums-Feiern einer Hexenjagd statt, die vor 400 Jahren 10 Menschen das Leben kostete. Eine gigantische, weithin sichtbare Konstruktion auf dem Pendle Hill formte die Zahl 1612, das Jahr der Hexenprozesse. Man verkaufte überall in Lancaster mehrere Sorten der Biermarke “”Witches Brew” und lud zu Busrundfahrten zu den Stationen der Hexenjagd ein. Wer wollte, konnte auch auf dem “witches trail” von Lancaster zu den Dörfern wandern, aus denen die Opfer zusammengetrieben wurden. Dort gibt es dann mitunter Gelegenheit, sich mit Kitsch einzudecken: Hexenpuppen, Hexentränke, Postkarten. Die Hexenjagd von Lancaster beschäftigt bis heute ein kleines Heer von lokalen Buchautoren, Historikern, Journalisten, Künstler und Theologen.Weniger prätentiös gibt sich in Penzlin das Museum für Hexenjagden in Mecklenburg-Vorpommern. In einem alten Schloss wird das Publikum in verwinkelten Räumen auf Tafeln und Bildern vollumfänglich aufgeklärt über die Hexenjagden in der Region. Gerade in Deutschland, dem Zentrum der europäischen Hexenjagden, würde man sich bisweilen etwas mehr solcher Museen wünschen, um differenziert und rational jene Forschungsergebnisse zu popularisieren, die skeptische Historikerinnen und Historiker in den letzten Jahrzehnten gesammelt haben. So mancher Mythos über Hexenjagden wurde von ihnen zerstört, so etwa, dass Hebammen eine bevorzugte Opfergruppe gewesen seien, oder dass die Ermordeten “weise Kräuterweiblein” oder Feministinnen oder Anhänger von vorchristlichen Religionen gewesen seien. Auch wurde die bisweilen grotesk übertriebene Zahl der Todesopfer korrigiert, die letztlich für das gesamte Europa zwischen 40.000 und maximal 100.000 angesiedelt werden kann.
Ich wünsche mir, dass lebende Opfer von aktuellen Hexenjagden mehr Aufmerksamkeit erhalten. Unser Budget erlaubt im Moment nicht einmal, unseren Spezialisten in Ghana angemessene Löhne zu zahlen oder unsere Arbeit auf die vernachlässigten Ghettos angemessen auszudehnen. Wir brauchen mindestens zusätzliche 500,- Euro pro Monat, um den untersten Mindestbedarf abzudecken. Hätten wir irgendwann einmal sogar 4000,- Euro pro Monat zur Verfügung, könnten wir allmählich das volle Potential unserer Arbeit in Ghana auszuschöpfen. Für 10 Millionen Euro, die das Denkmal in Vardø gekostet hat, könnten wir nicht nur ein Dutzend Museen in Ghana errichten und über Jahrzehnte betreiben, sondern auch unsere Arbeit für weitere 160 Jahre (8 Mio. durch 4000,- pro Monat) durchführen. Oder auf die Nachbarländer ausdehnen, die das gleiche Problem haben. Oder grundsätzliche infrastrukturelle Verbesserungen in den Ghettos durchführen.
Erst wenn die Opfer von Hexenjagden nicht erst in 400 Jahren, sondern heute kompensiert werden, wenn Hexenjagden in Ghana, Nigeria, Tansania, DRC, Kenia, Südafrika, Indonesien und Papua-Neuguinea durch differenzierte, den lokalen Bedingungen angepasste, säkulare und wissenschaftliche Aufklärung nach und nach eingedämmt werden, hat Wissenschaft ihr Ziel erreicht. Bleiben Sie uns daher bitte treu und helfen Sie uns, neue Spenderinnen und Spender zu finden.
Mit herzlichen Grüßen,
Felix Riedel
Ehrenamtlicher Vorsitzender von “Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge”
Ethnologe, Dr. phil.
Freier Autor
Quellen:
http://www.welt.de/kultur/article13448328/Zehn-Millionen-Euro-fuer-ein-Denkmal-fuer-Hexen.html
http://www.thedailybeast.com/articles/2015/05/03/norway-s-we-re-sorry-monument-to-91-dead-witches.html?source=TDB&via=FB_Page
This post is also available in: German